
AM SONNENPLATZ
mit Ella Hochleitner
Sie ist Filmemacherin und Nomadin auf der Suche nach guten Geschichten. WOLKENLOS fängt die Philosophie einer Frau ein, die sich nicht von Zuspruch abhängig macht und trotzdem immer weiter dreht.
Credits: Mirjam Schneeberger
Ein Dienstagmittag im Juli: Ella Hochleitner und ich besprechen noch schnell die Vorbereitungen für den Pressestart ihres neuen Dokumentarfilms „TROG“, bevor ich sie zu ihrem faszinierenden Lebensmodell löchere. Ella sitzt in Sizilien unter Olivenbäumen und ich in meinem Wiener Büro.
“Wenn ich sehe, wie mannigfaltig die Leute leben, habe ich in meiner Verschiedenheit auch eine Daseinsberechtigung.”
Sie wäre Anthropologin geworden, wenn sie sich nicht für den Weg der Filmemacherin entschieden hätte, sagt Ella Hochleitner. Die 55-Jährige wuchs in Salzburg-Stadt auf. Schon früh zog es sie in eine größere Welt. Der zweite Mann ihrer Großmutter stammte aus Südtirol und Ellas Familie unternahm bereits in den 1970ern regelmäßige Reisen nach Italien. Exotisch sei das gewesen, lacht die Filmemacherin, „Stell dir vor, wir haben nach der Grenze die Uhr umgestellt und unendlich hohe Lire-Summen für Eiscreme bezahlt!“. Nach der Matura zog Ella schließlich nach Rom und studierte Fotografie.
Suche nach den fremden Geschichten
„Ich bin eine Wanderin & Nomadin, bin immer am Weg und auf der Suche nach der eigenen Geschichte oder nach Geschichten von anderen Menschen.“
Diese Suche brachte sie Ende der 90er Jahre an die Fachhochschule für Film in Dortmund. Und von dort als Filmemacherin zurück nach Italien, nach Guatemala, Indien und Gambia. 12 Dokumentarfilme drehte sie in den letzten 20 Jahren, ihren allerersten Film verkaufte sie gleich an ARTE.
Ich frage Ella, ob sie das Filmemachen als Passion oder als Arbeit betrachtet und ärgere mich unmittelbar über diese dumme Suggestivfrage. Doch die Frau am anderen Ende der Leitung überrascht mich mit einem „Weder-Noch“:
„Das Filmemachen ist eine Lebensphilosophie für mich. Wie kann ich in diese fremde Welt eintauchen? Finde ich Parallelen zu meinem Leben? Wie viele Lösungen & Lebensentwürfe gibt es?”
Dass Ella in ihrem Leben davon getrieben ist, einfachen und bereits ausgetretenen Trampelpfaden auszuweichen, ist nicht nur an ihren Arbeiten abzulesen, sondern vor allem auch an der Art, wie sie ihren Beruf lebt.
Mit der ganzen Familie auf Dreh gehen
Zusammen mit ihrem Mann, dem britischen Filmemacher und Cutter Timothy McLeish und ihren mittlerweile drei Kindern (im Alter von 16, 12 und 9 Jahren) geht Hochleitner bei jedem Projekt für längere Zeit „ins Feld“. „Filmemachen wurde zur vielsprachigen Familienangelegenheit“, sagt sie heute über ihren Zugang zu Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Als ich schwanger war, war ich fast verzweifelt, weil ich mir gedacht hab: ′Wie soll das gehen? Ich brauche ein Kinderzimmer und da muss das Kind dann sein und ich muss sesshaft werden′!“
Ihre Therapeutin habe ihr damals versichert: „Du hast immer deinen eigenen Weg gefunden, als wirst du auch da deinen Weg finden!“ Und die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Ella ihre Kinder sehr wohl in ihr Berufsleben integrieren konnte. „Wir haben beruflich all das gemacht, was wir wollten, waren in verschiedenen Ländern und die Kinder sind mehrsprachig aufgewachsen“. Nichtsdestotrotz ist Ella mit ihrer Familie kürzlich nach Österreich zurückgezogen. Denn es gäbe da schon einen Punkt – wenn Kinder älter werden, sich mehr Beständigkeit und fixere Freundschaften wünschten – den man nicht übersehen könne.
Ziellos zufrieden
Ella gibt ehrlich zu, dass sie die Fußfesseln aktuell deutlich spürt, jetzt da ihre Kinder im österreichischen Schulsystem eingeschult sind. „Ich möchte mich nicht festnageln lassen, aber zumindest im nächsten Jahr wird es keine Änderung an unserer Situation geben“, sagt sie und ergänzt:
„Ich habe kein Ziel, ich bin ziellos. Ich weiß nicht, was in 5 Jahren sein wird, aber das ist keine Bürde, sondern für mich ist das spannend. Das ist das Gute am Leben, dass es eine Unzahl an Möglichkeiten gibt!”
Dass Ella keine Ziele verfolgt, nimmt ihr auch den Erfolgsdruck beim Filmemachen und unterstützt sie dabei, auch dann weiterzumachen, wenn von außen nicht der große Zuspruch kommt:
„Natürlich kann man sich von Zuspruch nicht total befreien, man ist ja doch angewiesen darauf, dass jemand sagt ′Mah, brav und schön und gut′ aber man kann andererseits auch seine Existenz nicht darauf bauen, die ist dann auf Sand gebaut.“
Ella und ihr Mann Tim arbeiten völlig autark und kommen bei ihren Drehs mit sehr wenigen Mitteln aus. Um einen Verleih und Networking kümmerten sie sich so gut es die Möglichkeiten zuließen. Die Filmemacherin sah sich bislang im Filmbetrieb eher als Außenseiterin ohne Lobby: „Wir köcheln in unserer kleinen Küche und haben nicht so sehr auf das Feedback geachtet, sondern einfach weitergemacht, weil uns das wichtig war.“
Erneuter Durchbruch mit Familiendoku
Dass sich jetzt ein Verleih um ihr neuestes Projekt, den Dokfilm „TROG“ annimmt, bezeichnet sie als Glücksfall. Während ihre ersten Filme vor 20 Jahren bei der Diagonale und der Viennale gezeigt wurden, war es zuletzt aus den erwähnten Gründen sehr lange still um die Filmemacherin. Das wird sich in den nächsten Wochen schlagartig ändern, wenn „TROG“ – ein Film über transgenerationale Traumata und deren Heilung – am 30. August in die Kinos kommt und auch international auf Festivals gespielt wird. Das Besondere an ihrem neuesten Werk: Ella hat die unfassbare Geschichte ihrer eigenen Großfamilie, einer Salzburger Bauernfamilie, eingefangen und trifft mit einem sprachlos-machenden Inhalt, subtil-ausgeklügelter Bildsprache und präzisem Schnitt mitten ins Herz.
Bald wird auf Ella also wieder dieser Moment warten:
„Dann geht das Licht an und ich schau in den Saal und seh’ die Gesichter der Leute und dann muss man gar nix mehr sagen. Da ist eh so viel passiert, das sieht man in den Gesichtern der Menschen!“

Ellas 3 Tipps für ein Nomadinnen-Leben:
1) Flexibel-sein
2) Freude an der Einfachheit haben
3) Interesse am Fremden haben, und sich in der Fremde zuhause fühlen können. Dass man lernt, die Furcht vor dem Fremden zu verlieren und es sich zum Eigenen macht.
Webseite zu Ellas neuestem Dokfilm “TROG”