
AM SONNENPLATZ
Blick hinter die Kulissen Teil 2
Vom Traum mit WOLKENLOS wie jedes Jahr im Süden zu überwintern und das Leben aber dieses Jahr Anderes mit mir vorhatte. Der folgende Text über das Erlebte ist keine leichte Kost (Triggerwarnung), endet aber mit Porträts von vier Frauen, deren Job es ist, Menschen in Krisen aufzufangen und aufzurichten. Mit ihrer Unterstützung gelange ich jetzt wieder an meinen innerlichen Sonnenplatz.
Das bin ich. Zwei Tage vor dem Vorfall. Mexiko 2022/23
Vor wenigen Wochen – ich kam gerade von meinem Morgenlauf am Strand zurück – bog ich laufend um die Ecke und zielte in Richtung der stark befahrenen Hauptstraße. Genau zwischen dem Mini-Supermarkt und den rücksichtlos schnell fahrenden Autos vor mir, traf er mich unvermittelt, der Gedanke: „Es ist alles perfekt, mein Leben ist perfekt.“
“Exakt zwölf Stunden später sah meine Welt bereits vollkommen anders aus.”
Es ist Abend, draußen ist es stockfinster und nur das laute Zirpen der Grillen ist zu hören. Ich stehe unter der Dusche in meinem kleinen Häuschen am Hügel über dem mexikanischen Pazifik. Wie jeden Abend denke ich daran, dass ich schon wieder zu spät ins Bett komme. Dass mir die sechs Stunden Schlaf kaum reichen werden, wenn ich wegen der Zeitverschiebung und den österreichischen Bürozeiten um drei Uhr Früh die Nacht zum Tag mache. Ich wasche mir das Gesicht, drehe mich zur Seite und plötzlich steht ein fremder Mann vor mir. 50 Zentimeter vor mir. In meinem Badezimmer. In meinem Haus. Ein fremder Mann. Was macht er hier? Wer ist das? Das, was ich befürchte, was hier gleich passieren wird, darf bitte nicht wahr sein. Ich schreie, schreie, schreie.
„Ein fremder Mann steht vor mir in meinem Badezimmer.“
Ich höre die Grillen nicht mehr zirpen, höre nur mein Schreien, in einer Lautstärke und Tonlage, von der ich nicht wusste, dass sie in mir sind, aber es ist das Einzige, was ich tun kann. Ein fremder Mann steht vor mir, steht in meinem Badezimmer, ich bin nackt, ich habe nichts bei mir, um mich zu wehren, und der einzige Weg nach draußen führt an ihm vorbei. Mir wird niemand helfen. Es wird niemand kommen. Und selbst wenn mich jemand hören würde, wird niemand kommen, niemand hier will (neue) Probleme. Ich schreie, schreie ohne Unterbrechung. Nur die Straßenhunde oben am Hang stimmen mit ihrem Gebell in mein Geschrei ein. Halt, denke ich, ich muss mich irren. Der Mann rührt sich nämlich nicht, sagt nichts, vielleicht will er mir gar nichts Böses, vielleicht ist er nur ein Handwerker? Kurz höre ich auf zu schreien, vielleicht will er sich erklären. Aber der Mann macht seinen Mund nicht auf. Er sagt nicht, dass er vom Vermieter geschickt wurde, um etwas zu reparieren. Er steht immer noch vor mir und starrt mich an. Das hier passiert also wirklich. Ich schreie wieder, schreie und schreie. Er legt den Zeigefinger auf seinen Mund. Sei still, will er mir damit sagen. Einen Teufel werde ich. Ich bin zwar nackt, aber ich weiche keinen Zentimeter zurück. Ich bin zwar alleine, aber ich schreie ihm ins Gesicht. Ich habe Angst, aber ich schreie um mein Leben. Das Gebell draußen nimmt zu. Plötzlich dreht sich der Mann um und läuft aus dem Badezimmer. Ohne nachzudenken, laufe ich ihm hinterher, durch mein Schlafzimmer auf den Balkon, keine Sekunde höre ich währenddessen auf zu schreien. Ich sehe, wie er sich unter das Balkongeländer drückt und sich vom ersten Stock die zwei Meter nach unten fallen lässt.
„Stunden später in der Nacht, wird er wiederkommen.“
Stunden später in der Nacht, wird er oder eine weitere Person – ich weiß es bis heute nicht – noch einmal wiederkommen. Ich werde zu meinem unfassbar großen Glück noch immer bei angemachtem Licht im Bett sitzen. Ich werde sehen, wie sich plötzlich der Vorhang bewegt und eine fremde Hand in mein Zimmer greift. Durch eine Schiebetür, von der ich überzeugt war, sie Stunden zuvor fest verriegelt zu haben. In mir wird jede Hoffnung zerbrechen, dass doch noch alles gut wird. Dass ich diese Nacht unbeschadet überleben werde. Ich werde wieder um mein Leben schreien. Ich werde durch den geschlossenen Vorhang nicht erkennen können, wer oder wie viele Männer da noch vor meinem Haus stehen. Die Hand wird sich nach Einsetzen meiner Schreie zurückziehen. Der alte Mann – von meinem Vermieter nach dem ersten Vorfall Stunden zuvor beauftragt, bei mir im Erdgeschoss zu übernachten – wird mich nicht hören oder sich trotz seiner mitgebrachten Machete nicht ins Freie trauen. Ich sehe den Kegel seiner Taschenlampe erst, als ich längst meinen Mann in Österreich auf seinem Weg zum Büro per Videocall anflehe, dass er mich hier rausholen möge.
„Um drei Uhr Früh werde ich evakuiert.“
Um drei Uhr früh werde ich evakuiert, in ein anderes Haus gebracht, nur wenige Kilometer entfernt. Man wird mich die restliche Nacht dort alleine lassen. Und ich werde mich bis zum Sonnenaufgang nicht nur zu Tode fürchten, sondern auch davon überzeugt sein, dass mich das eben Erlebte für den Rest meines Lebens verfolgen und beeinträchtigen wird. Dass es hier endet, mein hart erkämpftes Lebenskonzept. Mein geliebtes Allein-Reisen. Mein Traum, die Bürozelte den Winter über im warmen Süden aufzuschlagen. Frei wie ein Vogel sein.
Wenige Stunden später setze ich meine persönliche Rettungskette in Gang, die mit aller Kraft Erste Hilfe an meiner Seele und Psyche leistet. Ein Mann und vier Frauen fangen mich derart professionell auf, dass ich schon weniger als einen Monat später meine Reise fortsetzen werde. Alleine, aber ohne Angst. Sie haben mir Techniken zur Hand gegeben, wie ich weder dem Mann noch dem Trauma die Macht gebe, alles für sich einzunehmen. Wie ich diese Nacht langsam zurückdränge und zu einer Erinnerung werden lasse, die mich zwar verändert hat, aber die nicht über mich bestimmen wird.
„Wir müssen mit schlimmen Ereignissen nicht alleine fertig werden.“
Ich teile meine Geschichte aus einem einzigen Grund: Ich möchte zeigen, dass wir mit schlimmen Ereignissen nicht alleine fertig werden und sie nicht ein ganzes Leben mit uns tragen müssen. Meinen Schwager – aufgrund seiner geografischen Nähe am nächsten Tag der Erste an der „Unfallstelle“ – behalte ich privat in meinem Herzen. Hier vorstellen möchte ich aber die vier zeitlich auf ihn folgenden Professionistinnen, die mich aus der Ferne gerettet haben. Ihr Berufsalltag besteht darin, Menschen in schwierigen Situationen aufzufangen und Wege nach vorne aufzuzeigen. Für ihre Unterstützung in den ersten Stunden und den darauffolgenden Tagen bin ich ihnen zutiefst dankbar:
Monika Kandler
Energiecoach mit Praxis nahe Linz. Meine Weggefährtin seit Kindesbeinen, hat hoffentlich gutes Taschengeld verdient, immer wenn sie auf mich - das Nachbarskind - aufpassen musste. achtsamzeit.info
Was machst du mit Menschen, die eine traumatisierende Erfahrung gemacht haben?
Ich schaue auf die Energie, die den jeweiligen Menschen gerade beschäftigt. Das kann, wie in deinem Fall, eine Energie von Angst, Ohnmacht oder Verzweiflung sein. Der Fokus liegt dabei aber auf der aktuellen Energie und nicht nur alleine auf dem Erlebnis selbst. Erfahrungen sind meist komplexer, als das, was sich im Moment zeigt. Ich beginne die negative Energie, die sich nach so einem Erlebnis manifestieren will, mit positiver Energie zu verändern. Jede negative Energie hat einen positiven Gegenpol. Energiearbeit funktioniert über Worte, über Energieflüsse oder auch über Berührung, wenn die Klient:innen direkt bei mir in der Praxis sind.
Warum ist es möglich, negative Erlebnisse schneller zu bewältigen, als man das im ersten Moment annehmen würde?
Das Wichtigste ist, dass man erkennt, dass man nicht Opfer bleiben möchte und dass man einer Energie nie tatsächlich ausgeliefert ist. Es ist die Frage: „Was mache ich aus dem, was ich erlebt habe?“ Habe ich grundsätzlich die Bereitschaft zum Loslassen? Wenn ich Veränderung wirklich will und sage – ok, das ist mir passiert, das ist Teil meiner Geschichte, aber das muss mich nicht erschwerend begleiten, sondern es darf etwas Erlebtes werden – dann kann man weitergehen. Die Annahme des eigenen Schicksals und die Auseinandersetzung damit führt letztlich zu innerem Frieden und diese friedvolle Energie ist für mich immer das Ziel meiner energetischen Begleitung.
Leila Talebi-Schmid
Psychosoziale Beraterin und systemischer Coach in Steyregg bei Linz. Vor 20 Jahren saßen wir in einer kleinen Kammer und öffneten stundenlang retournierte Briefe für unseren damaligen Arbeitgeber. Wir stellten nachhaltig fest, dass wir uns ausgesprochen gern haben: Der Gesprächsstoff ist uns bis heute nicht ausgegangen. freiundverbunden.at
Was machst du mit Menschen, die gerade in einer Krisensituation stecken?
Da sein und den Raum halten. Dem Anderen signalisieren, dass alles da sein darf an Gefühlen und Gedanken. Ich sehe mich dabei wie eine Art Geländer: Die Person weiß, ich bin da, um sie zu stützen, zu begleiten und gemeinsam herauszuarbeiten, was es gerade braucht. Mein Ziel ist es, dass sie im eigenen Tempo dann auch wieder gestärkt alleine weitergehen kann.
Wie kommt man von negativen Ereignissen schneller los?
Mit „schneller“ habe ich persönlich in diesem Zusammenhang ein Thema. Mir scheint es gerade hier wichtig, allem, was durch ein solches Ereignis in uns passiert, erst mal Zeit und Raum zu geben – es da sein zu lassen. Dabei geht es darum, die Balance zu halten zwischen einerseits dem Wunsch, etwas vielleicht schnellstmöglich wegzuschieben und andererseits länger darin zu verharren, als uns guttut. In beiden Fällen wirkt Begleitung unterstützend. Und wenn sich diese Balance erst einmal eingestellt hat, tritt auch die Klarheit ein, was für uns als nächstes stimmig und wichtig ist. Das ist je nach Person, Ereignis und den eigenen Erfahrungen natürlich ganz individuell.
Renate Mayerhofer
Psychotherapeutin mit reichlich Erfahrung in Traumatherapie. In ihrer Praxis in Neulengbach (NÖ) bietet sie Selbstwirksamkeitstrainings für Gruppen an und vermittelt Techniken, wie man mit Ängsten, Panikattacken und destruktivem Verhalten umgeht und das Ruder wieder selbst in die Hand nimmt. Einst war sie eine von mir betreute Autorin, die ich nicht aus den Augen verlieren wollte und tatsächlich nicht verloren habe. wochner-bauer.at
Was machst du mit Menschen, die eine traumatisierende Erfahrung gemacht haben?
Trauma ist eine Situation, ein Ereignis, welches so heftig ist, dass die eigenen Kompetenzen (Fähigkeiten) nicht ausreichen. Der erste Schritt ist definitiv ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu schaffen. Orientierung geben und stabilisieren, die Selbstwirksamkeit bewusst machen und die eigenen Ressourcen aktivieren. Wenn du am Ufer stehst und die Angel auswerfen willst, musst du zuerst gescheit stehen, bevor du ausholst. Wenn also sehr belastende Details wieder ins Bewusstsein treten, ist es wichtig, im Hier und Jetzt zu sein – damit klar ist, dass alles Traumatisierende bereits in der Vergangenheit liegt. Als Moderatorin hole ich einen Teilbereich des Erlebnisses ins Jetzt. Du erkennst als Betroffene, dass das, was du schilderst, vorbei ist und du es nur noch im Jetzt erlebst – „Integration“ heißt das in der Fachsprache. Im Groben kann man die Vorgehensweise so zusammenfassen: Stabilisieren, konfrontieren, stabilisieren, konfrontieren. Der Fokus liegt auf dem Stabilisieren und Sicherheit-Geben.
Ist das Darüber-Sprechen immer zielführend?
Zielführend ist es nur dann, wenn ein Mensch Bedarf hat, zu sprechen. Man kann und soll niemanden zwangsbeglücken. Es ist sinnvoll dem Erlebten Raum zu geben. Das ist mit verschiedenen kreativen Methoden möglich. Wie zB zeichnen, arbeiten mit Ton, Tanz, Musiktherapie usw. Und zielführend ist es auch, wenn man es als Therapeutin reguliert, nicht haltlos ins Drama einsteigt. Geführt darüber reden lassen, kann wichtig für den Verarbeitungsprozess sein.
Was kann ich selbst tun, nachdem ich eine traumatisierende Erfahrung gemacht habe?
Das eigene soziale Netzwerk aktivieren. Man kann sich präventiv sogar sowas wie eine Netzwerkliste, bewusst machen. Dann kann man später alles, was Geborgenheit schafft, aktivieren. Menschen, auf die man bauen kann, sowas ist immer wichtig. Psychische Gesundheit heißt u.a., man hat ein Netzwerk. Man braucht Menschen zum Anhalten. Man-made desaster (durch Menschen versursachte Traumata) sind die schlimmsten Traumata. Wir Menschen können uns am tiefsten verletzen, sind aber gleichzeitig füreinander auch am heilsamsten. Es ist wichtig, die eigenen Bedürfnisse zu kennen und klar zu kommunizieren – eine gesunde Streitkultur (Konfliktmanagement) und Grenzen zu setzten gehören dazu. Aber natürlich auch sich aufeinander einzulassen und das eigene Herz zu öffnen - das ist der Sinn des Lebens.
Wie kann man negative Ereignisse positiv für sich nutzen?
Indem man sich bewusst macht, ich hab’s überstanden. Ein Trauma bedeutet immer, dass die eigenen Ressourcen nicht mehr ausreichen. Es ist ein Gefühl der absoluten Hilflosigkeit, begleitet von Ohnmacht bin hin zu Todesangst. Wenn man das überwunden hat, lernt man in jedem Fall, dass man offensichtlich eine Ressource gehabt hat, das zu überwinden. Das ganze System-Mensch, also das Bewusstsein und das Unterbewusstsein, weiß mehr als davor.
Ein Trauma darf man meiner Meinung nach nicht überbewerten, man kann die Dramatik auch ein bissl rausnehmen. Neben Empathie und viel Verständnis, ist Humor eine ganz wichtige Ressource. Humor schafft Distanz zum schrecklichen Erlebnis. Trauma ist Teil unseres Lebens. Nicht groß aufbauschen, sondern sich denken „In dem Moment haben die Ressourcen nicht ausgereicht, aber das habe ich integriert.“. Wir sind nicht sicher im Leben, das ist eine Scheinsicherheit, aber wir können immer unsere Ressourcen erweitern. Es ist doch immer so, dass wir durch Herausforderungen und Erfahrung lernen.
Diana Geisler
(Visions)Coach in Wien. Vor 15 Jahren habe ich sie meinem Mann als platonische Freundin ausgespannt. Unsere bislang verrückteste Unternehmung: Eine Reise nach Lille, um eine verflossene Liebe zurückzugewinnen. feelmehrschwung.at
Wie kann ich mich aus einer negativen Gedankenspirale befreien und bleibe nicht Opfer meiner Gedanken?
Im Coaching sprichst du Dinge laut aus, wo du sonst nur innere Selbstgespräche führen würdest. Und du hörst dir selbst dabei zu. Es ist heilsam, einfach mal sagen zu dürfen, was man fühlt. Du darfst da hinspüren und bist nicht alleine. Viele der Dinge sind nach dem Aussprechen klarer – zB das, was ich da denke, stimmt für mich doch gar nicht. Es geht darum herauszufinden, was ich für mich möchte und mich bewusst danach auszurichten. Selbstgesprächen im Kopf soll man nicht immer glauben, vor allem, wenn ich nicht will, dass genau diese Sorte mein Leben bestimmt. Stattdessen denke und fühle ich mich intensiv dorthin, wo ich mich im Leben hinwünsche. Sodass mein Kopf und mein Körper quasi schon wissen, wie es sich anfühlt, bereits dort zu sein.
Wie kann mich meinen Körper dabei unterstützen, schlimme Erfahrungen loszuwerden?
Am Anfang lerne ich mal in Ruhe zu spüren, wo sitzen denn meine Gefühle – wo sitzt das Erlebnis in meinem Körper und wie fühlt es sich an. Das Gefühl aufkommen lassen, bewusst hinspüren und dann bemerken, es geht auch wieder vorbei. Je weniger ich hinschaue, desto mehr drückts im Körper auch. Wenn ich es bewusst wahrnehme, kann ich im nächsten Schritt überlegen, was hat es mir gezeigt und wohin möchte ich von da aus losstarten.
