
AM SONNENPLATZ
mit Rafael Fingerlos
Er ist ein international gefragter Starbariton aus Mariapfarr im Lungau. Mit seinen 36 Jahren hat Rafael Fingerlos bereits die wichtigsten Bühnen der Welt bespielt und geht zunehmend gerne unkonventionelle Wege. WOLKENLOS schafft neuerdings Sichtbarkeit für die künstlerischen Herzensprojekte des vielfältigen und umtriebigen Weltklasse-Sängers.
In den vergangenen Jahren konnte man Rafael mit wichtigen Partien an der Wiener Staatsoper, am Teatro alla Scala in Mailand, an der Semperoper Dresden, am Teatro Real in Madrid oder bei den Salzburger Festspielen erleben – zusätzlich zu regelmäßigen, weltweiten Konzertauftritten bei großen Festivals und Konzerthäusern. Demnächst ist er für mehrere Wochen im Teatro Colón in Buenos Aires stationiert. Dort singt er den Danilo in der „Lustigen Witwe“ und wird als erster österreichischer Sänger seit 70 Jahren mit einem Solo-Liederabend auf dieser legendären Bühne stehen. Und fühlen wird er wahrscheinlich das hier:
„Wenn alles stimmt, wenn ich mit dem Orchester verschmelze, dann spür ich mich selbst gar nicht mehr – das ist das Schönste. Es klingt kitschig, sich in der Kunst aufzulösen, aber so ist es!“
Wir sitzen im Café und der kleine Tisch vor uns biegt sich: Kaffee, Tee, Semmeln, Ei, Schinken, Käse, Müsli und Prosecco laden zu einer ausführlichen Nachbesprechung ein – denn es gibt etwas zu feiern! Wenige Tage zuvor erlebte das letzte Herzensprojekt des Lungauers seine Weltpremiere. Gemeinsam mit dem Mauterndorfer Metallunternehmer, Stefan Ritzer, brachte Rafael Fingerlos Mozarts „Così fan tutte“ in ihre gemeinsame Heimat: „Oper Lungau“ nannte sich das ambitionierte Projekt. Die beiden verwandelten Ritzers Stahlbauhalle in ein temporäres Opernhaus und führten um 250.000 Euro eine szenisch ausgeklügelte und mutig konzipierte Produktion auf höchstem künstlerischen Niveau auf. Das Versprechen, opernferne Menschen möglichst niederschwellig und aber auch Kenner:innen gleichermaßen zu begeistern, löste die „Oper Lungau“ vollends ein.
Auch für Rafael selbst bedeutete dieses Projekt ein Novum: Erstmalig konzipierte und schrieb er das Buch zu einer Oper, führte Regie und hatte die Verantwortung der Intendanz inne. Zusätzlich zu all diesen Funktionen stand er auch noch in der Hauptrolle auf der Bühne.
Nahezu ungläubig lässt Rafael nun im Kaffeehaus die hymnischen Zeitungskritiken, unmittelbaren Rückmeldungen nach den Vorstellungen und die zahlreichen Mails und Leser:innenbriefe, die Tage später immer noch eintrudeln, Revue passieren. Er erinnert sich, dass ihn nach der Premiere eine ältere Frau überwältigt zur Seite zog, weil sie ihren Partner nicht mehr wiedererkannte:
„Mein Mann ist Zeit seines Lebens sehr zurückhaltend und geht nie aus sich heraus – eine Eigenschaft, mit der auch ich immer zu kämpfen hatte. UND DANN: Springt er nach dem letzten Ton auf, schreit ‚Bravo‛ und ich frage mich: ‚Wer ist dieser Mensch neben mir‛?“
An den weiteren Vorstellungstagen warteten unabhängig voneinander zwei ca. 90-jährige Besucher nach der Vorstellung auf Rafael. Der eine war sich sicher, dieses Erlebnis könne nicht mehr gesteigert werden und wollte für sich hier nun einen Schlussstrich ziehen: „Ich gehe mein ganzes Leben schon in die Oper und jetzt höre ich auf!“ Eine ganz andere Erkenntnis hatte einen Tag später ein weiterer Besucher hohen Alters: „Das war meine erste Oper und es war nicht meine letzte!“
Regeln brechen
Wenn es nach so manchen engstirnigen Zweifler:innen ginge, hätte es so etwas wie die “Oper Lungau” nie geben dürfen. Genauso wenig wie Rafaels Ausflüge in die Volksmusik, wo er in unterschiedlichen Formationen jodelt und die Steirische spielt. Selbst seine mittlerweile zahlreichen, regelmäßigen TV-Auftritte (zB die Volksmusik und Klassik verbindenden Projekte FRANZ & JOHANNES, das ORF III Weihnachtskonzert, die Doku „Mein Mozart, mein Salzburg") gäbe es nicht. Weil diese kreative Vielfalt eben nicht dem herkömmlichen Werdegang in der ersten Liga der Klassikwelt entspricht:
„Wenn’s nach dem gegangen wäre, hätte ich um jeden Preis im Staatsopern-Ensemble bleiben müssen, bis ich vielleicht irgendwann nicht mehr kann. Vielleicht aber wäre ich dann Kammersänger geworden (lacht).“
Trotz zahlreicher Unkenrufe traute er sich, auf seine Intuition zu hören und das Staatsopern-Ensemble aufgrund der hohen internationalen Nachfrage hinter sich zu lassen. Jetzt verfolgt er seine eigenen Herzensprojekte und wird dafür belohnt.
„Der wichtigste Schritt war, nicht mehr alle überzeugen zu müssen von meinem Weg und endlich selbst entscheiden zu können, welche Partien, Werke und Projekte meiner Entwicklung gut tun.“
Sein neuer Weg bedeutet keineswegs, dass er sich von seinem Handwerk, seinem Kernberuf als Weltklasse-Bariton, abwendet oder diesen vernachlässigt:
„Die anderen Projekte funktionieren nur, weil der Kernberuf funktioniert. Weil alles davon abgeleitet ist, auf international höchstem Niveau Oper und Konzert zu singen. Heute kann ich im Teatro Colón in Buenos Aires in der „Lustigen Witwe“ die männliche Hauptrolle singen UND bei den Gmundner Festwochen jodeln.
Über Entbehrungen
Ich frage Rafael, ob es denn eine Alternative für ihn zu seiner Berufung, dem Singen, gäbe? Ob er sich auch vorstellen könne, etwas ganz anderes zu machen? Da lacht er und sagt: „Vorstellen könnte ich mir so Vieles, aber das Singen ist das Einzige, an dem ich wirklich drangeblieben bin – bis heute.“
„Es ist Fluch und Segen, wenn man es ernst nimmt, weil‘s so einnehmend wird, wenn man es gescheit macht. Aber das schöne bei einer Berufung ist, dass man keine Wahl hat.“
Auch wenn es mit Entbehrungen einhergeht, und da meint er nicht nur, dass er dafür büßen muss, wenn er sich mal doch entschließt, abends auszugehen. Die Einschränkungen beginnen letztlich schon im ganz normalen Alltag:
„Man muss aufpassen, wie viel man redet und wann man redet. Das ist für einen kommunikativen Menschen ein wahnsinns Lebenseinschnitt. Das wäre das Einzige, wo ich manchmal überlege, den Weg abzubrechen.“
Kräftig wachsen
Von “Schneller, Höher, Weiter, Mehr” hält Rafael heute nichts mehr:
„Lieber langsam und stetig, gesund wachsen. Weil die ganz schnelle Entwicklung hatte ich ganz am Anfang und das hat mir nicht gutgetan.“
Ein wesentlicher Kraftpol ist seine Familie. Für seine Weiterentwicklung hat er sich ein Umfeld von vielen positiven und bestärkenden Menschen geschaffen, dort, wo er bedingungslose Liebe und Halt erfahren kann. Das berufliche „Im-Außen-Sein“ braucht aber auch den Gegenpol von Ruhe und Stille: „Zum Beispiel lege ich mich jeden Abend 20 Minuten hin und beobachte, was in meinem Körper los ist“, erzählt er. Generell macht Rafael viel Körperarbeit, isst gut und achtet auf seinen Körper – weil er ja auch sein wichtigstes (Arbeits)Werkzeug ist.
Gefragt danach, wie er trotz der vielen „Einflüster:innen“ – wie er sie nennt – in seinem eigenen Tempo wachsen kann, legt er drei seiner Lebensgrundsätze auf den mittlerweile aufgeräumten Kaffeehaustisch:
„I hab mi lieb. Man kann/soll und darf Fehler machen. Und bei Problemen, auch wenn man sich aufregt, das Problem bleibt ja – da ist Ruhe die größte Stärke.“

Rafaels 5 Tipps, um zu wachsen
1) Zeit
2) Aufmerksamkeit und Gespür
3) Mut und Offenheit
4) Vertrauen in dich selbst und andere
5) Das Wichtigste ist eine ehrliche Selbstreflexion: Dass du spürst, wenn etwas gut ist und in gleichem Maße spürst, wenn etwas schlecht ist. Es gibt Menschen, die merken überhaupt nicht, wenn ein besonderer Moment ist.
Webseite Rafael Fingerlos